Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat eine Entscheidung mit beachtlicher Reichweite für grenzüberschreitende Verbraucherverträge erlassen: durch das Urteil des EuGH (C-190/11, 06.09.2012) steht jetzt fest, dass die Möglichkeit für einen Verbraucher, einen ausländischen Gewerbetreibenden vor den inländischen Gerichten zu verklagen, nicht voraussetzt, dass auch der streitige Vertrag im Fernabsatz abgeschlossen wurde. Dass sich der Verbraucher zum Vertragsabschluss in den Mitgliedstaat des Gewerbetreibenden begeben hat, schließt daher ab sofort die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats des Verbrauchers nicht mehr aus.
1. Der Entscheidung des EuGH liegt ein Sachverhalt (im Folgenden leicht abgewandelt) zugrunde, der so oder so ähnlich tagtäglich zigfach vorkommt: ein Verbraucher, der in Deutschland wohnt, hat vor den deutschen Gerichten gegen ein in Mailand (Italien) ansässiges Autohaus Klage erhoben. Mit der Klage begehrt er die Wandlung des Kaufvertrages über das Fahrzeug, das er beim Autohaus für seinen privaten Bedarf erworben hat. Auf das Angebot des Autohauses in Mailand stieß der Verbraucher über seine Recherchen im Internet. Zur Unterzeichnung des Kaufvertrages und Übernahme des Autos begab er sich jedoch nach Mailand. Zurück in Deutschland entdeckte er, dass das Fahrzeug wesentliche Mängel aufwies. Da sich der Geschäftsinhaber des Autohauses weigerte, das Fahrzeug zu reparieren, erhob der deutsche Verbraucher Klage bei den deutschen Gerichten, deren internationale Zuständigkeit von dem beklagten Autohaus gerügt wurde.
2. Das Unionsrecht (Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen – ABl. 2001, L 12, 1, sog. Brüssel I Verordnung) soll den Verbraucher als schwächere Vertragspartei in grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten schützen, indem ihm der Zugang zur Justiz insbesondere durch geografische Nähe zum zuständigen Gericht erleichtert wird. So kann der Verbraucher den Gewerbetreibenden, mit dem er einen Vertrag geschlossen hat, auch dann vor den inländischen Gerichten verklagen, wenn dieser seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, und zwar unter zwei Voraussetzungen:
– der Gewerbetreibende muss seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Mitgliedstaat ausüben, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat oder sie auf irgendeinem Wege (z.B. über das Internet) auf diesen Mitgliedstaat (oder mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaates) ausrichten und
– der von dem Rechtsstreit betroffene Vertrag muss in den Bereich dieser Tätigkeit fallen.
Unklar war bislang, ob die Möglichkeit, die inländischen Gerichte zu befassen, außerdem voraussetzt, dass der Vertrag zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer im Fernabsatz abgeschlossen wurde.
Diese Frage hat der EuGH jetzt entschieden und zwar zugunsten der Verbraucher: die Möglichkeit für einen Verbraucher, einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gewerbetreibenden vor den Gerichten des inländischen Mitgliedstaats zu verklagen, setzt nicht voraus, dass auch der Vertrag im Fernabsatz geschlossen wurde. Nach Ansicht des EuGH enthält die derzeitige Regelung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 eine solche Voraussetzung nicht. Die wesentliche Voraussetzung für die Anwendung dieser Regelung sei die der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit, die auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist. Insoweit seien sowohl die Aufnahme von Fernkontakt als auch die Buchung eines Gegenstands oder einer Dienstleistung im Fernabsatz -und erst recht der Abschluss eines Verbrauchervertrags im Fernabsatz- Indizien dafür, dass der Vertrag an eine solche Tätigkeit anschließt.
Fazit: Verbraucher können ausländische Gewerbetreibende auch dann vor den inländischen Gerichten verklagen, wenn der Vertrag selbst nicht im Fernabsatz abgeschlossen wurde. Für die Zuständigkeit der inländischen Gerichte kann es schon ausreichend sein, dass die gewerbliche Tätigkeit auf den Heimatstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist, etwa weil dort die Website des Gewerbetreibenden zugänglich ist und es Fernkontakte (Telefon, E-Mails) zwischen den Vertragsparteien gegeben hat.
Ratsuchende sollten sich daher nicht vorschnell von gegenteiligen Behauptungen abschrecken lassen, sondern ihren Fall von einem auf grenzüberschreitende Sachverhalte spezialisierten Rechtsanwalt überprüfen lassen.
Studio Legale Reichel – Beatrix Grossblotekamp, LL.M. – Rechtsanwältin