Vorsorgevollmacht: kein Verzicht auf gerichtliche Genehmigung bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen möglich!

§ 1906 Abs. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) regelt, dass bei Freiheitsbeschränkungen (z.B. durch ärztliche Sicherungs- und Zwangsmassnahmen) trotz Einwilligung des Bevollmächtigten die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung einzuholen ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte nun darüber zu entscheiden, ob der Bevollmächtigte durch entsprechende Regelungen in einer Vorsorgevollmacht davon befreit werden kann, vor seiner Einwilligung in ärztliche Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen (z.B. Bettgitter, Fixierungen) die gerichtliche Genehmigung einzuholen. In seiner Entscheidung vom 30.06.2015 (Az.: 2 BvR 1967/12) hat das BVerfG dies verneint.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: die in einem Seniorenpflegeheim untergebrachte Mutter erteilte im Jahr 2000 eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht an ihren Sohn. Diese enthielt die Formulierung, dass der Sohn als Bevollmächtigter „Entscheidungen ohne Einschaltung des Vormundschaftsgerichts treffen soll“. Im Sommer 2012 erreichte die Mutter die Pflegestufe III. Nachdem sie mehrfach aus einem Stuhl und ihrem Bett auf den Boden gefallen war und sich dabei Verletzungen zugezogen hatte, willigte ihr Sohn ein, Gitter an ihrem Bett zu befestigen und sie tagsüber mit einem Beckengurt im Rollstuhl zu fixieren.

Das Amtsgericht genehmigte die Einwilligung des Sohnes nicht. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb vor dem Landgericht und dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg, weshalb Verfassungsbeschwerde beim BVerfG eingereicht wurde. Nach Ansicht von Mutter und Sohn liegt in dem Bestehen der Vorinstanzen auf gerichtliche Genehmigung trotz entgegenstehender Formulierung in der Vollmacht ein unverhältnismässiger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).

Das BVerfG kommt in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass keine Grundrechtsverletzung zum Nachteil von Mutter und Sohn vorliegt: die in § 1906 Abs. 5 BGB festgeschriebene Verpflichtung, vor Freiheitsbeschränkungen trotz Einwilligung des Bevollmächtigten eine gerichtliche Genehmigung der Einwilligung einzuholen, stelle zwar grundsätzlich einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG dar. Das Recht auf Selbstbestimmung werde jedoch nicht uneingeschränkt, sondern nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Bestandteil dieser verfassungsmäßigen Ordnung sei jede Rechtsnorm, die formell und materiell der Verfassung gemäß ist. Diese Voraussetzung erfülle die angegriffene Vorschrift des § 1906 Abs. 5 BGB.

Festzuhalten ist daher, dass der Vollmachtgeber in seiner Vorsorgevollmacht nicht wirksam auf das Erfordernis der gerichtlichen Genehmigung verzichten kann.


Studio Legale Reichel
Beatrix Grossblotekamp, LL.M.
Rechtsanwältin